Rabine-Methode in Verbindung mit Anatomy Trains von Thomas W. Myers
Eins unserer Themen aus der jüngsten Zeit ist eine teilweise Neugestaltung der Vorträge in der Ausbildung zur Gesangspädagogin bzw. zum Stimmtherapeuten über die Muskeln und Faszien des Körpers anhand der myofaszialen Zuglinien, wie sie von Thomas W. Myers in seinem Buch Anatomy trains dargestellt werden.
Ich bin als gelernte Körpertherapeutin schon lange daran interessiert, die Betrachtungsweise aus der Körpertherapie in die Rabine-Methode einzubringen, da wir auch in unserer Stimmarbeit viel mit Körperbewegungen und damit natürlich mit Muskelketten arbeiten, sodass es für mich immer nahe lag, körpertherapeutische Ansätze und Rabine-Methode enger miteinander zu verbinden.
Auf der einen Seite betonen wir immer wieder, dass wir Gesangspädagoginnen und -Pädagogen sind und keine Psychotherapeutinnen und -Therapeuten, aber wir alle wissen, dass eine grundlegende Kenntnis der psychischen Dynamik, die im Gesangsunterricht immer vorhanden ist, ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Arbeit ist und dass man die psychische Dynamik auch am Körper lesen lernen und nicht nur über die Stimme hören kann.
Um diesen sicherlich sehr spannenden Bereich geht es jetzt allerdings weniger in dem folgenden Artikel.
In der Rabine-Methode liegt eine Betonung auf den Körperbewegungen. Die Anatomy trains erscheinen mir als ein Gliederungssystem des Körpers, das viele Aspekte einbezieht. Wir lernen einerseits wie bisher auch Muskeln mit Namen und ihrer Funktionsweise kennen, aber sie werden nicht vereinzelt, wie es in der funktionellen Anatomie oft der Fall ist, sondern in sogenannten Zuglinien gleich in einen Zusammenhang gestellt. Wenn wir uns beispielsweise die Spirallinie anschauen, die unseren Körper von beiden Seiten wie eine Helix umhüllt und dann unsere Stimm-Körper Einheiten mit der Drehung dazu nehmen, haben wir einen sehr praktischen Bezug zu der Muskulatur und können über Körperübungen direkt die Arbeit dieser Zuglinie erleben. Über das Körperlesen in unserer Funktion als Gesanglehrerinnen und -Lehrern lernen wir, die Linie in Aktion zu sehen.
So beginnen wir von Anfang an, Muskeln nicht einzeln zu betrachten, sondern mehr in einem Gesamtbild der Zusammenarbeit im Körper zu denken, wahrzunehmen und zu sehen.
Ich selbst finde es immer wieder erstaunlich, wie sich andere Körperkonzepte in die Rabine-Methode einfügen lassen. Wir können die Spirallinie beobachten, wie sie mit unseren ausführlichen Drehübungen von Kopf, Schultergürtel und Becken zu beobachten und wahrzunehmen ist. Auch die Zusammenarbeit von Laterallinie und Spirallinie können wir z. B. bei den Übungen zur Körperneigung erleben.
Die oberflächliche Rückenlinie, die oberflächliche Frontallinie und die tiefe Frontallinie sind sehr interessant für die Arbeit mit Beugung nach hinten und nach vorn.
Schauen wir uns doch aber einmal exemplarisch die Spirallinie genauer an.
Leider konnten wir die Bilder aus dem Buch nicht veröffentlichen, da Tom Myers sich auf Anfragen nicht zurückmeldete und wir kein Risiko eingehen wollten.
Wer weitere Fragen hat, kann sich gern privat an mich wenden unter hilkni@googlemail.com
In groben Zügen kann man sagen, die Spirallinie geht von hinten oben am Kopf los, über Schulterblatt, Wirbelsäule auf die andere Körperseite, über den M. serratus anterior, der für uns ein sehr wichtiger Muskel in der Atmung ist auf die Vorderseite des Körpers zu den schrägen Bauchmuskeln.
Von dort über die Beckenseite außen am Oberschenkel, dann über das Schienbein auf die Fußinnenseite, unter dem Fuß entlang, die Außenseite des Unterschenkels hinauf. Dort über die rückwärtige Seite des Oberschenkels, eine ligamentöse Verbindung im Becken, die Wirbelsäule entlang nach oben, um wieder am Kopf anzukommen.
Wenn die Spirallinie im Ungleichgewicht ist, beteiligt sie sich an Verdrehungen und Lateralverschiebungen im Körper. Außerdem ist ein Großteil der Myofaszie auch in anderen Linien aktiv und hat somit eine Vielzahl von Funktionen.
(Der Begriff „Myofaszie“ beschreibt die Einheit aus Muskelgewebe und dem
umgebenden Hüllwerk, der Faszie, einem Netzwerk aus Bindegewebe).
Durch muskuläre und neurologische Zusammenhänge hat all das einen Einfluss auf unsere Stimmfunktion.
Da das Modell der anatomischen Zuglinie sich immer auf bestimmte Körperschichten bzw. -tiefen der Muskulatur in einer Ebene und Richtung bezieht, gibt es leider kaum Hinweise in dem Buch über Zuglinien im Bereich innerer Hals, Vokaltrakt und Stimmfunktion. Auch manche der Atemmuskeln wie Zwerchfell oder Zwischenrippenmuskeln werden nicht oder nur kurz behandelt. An dieser Stelle ist es dann an uns, die wir mit Stimme beschäftigt sind, eigene Linien für unseren Bereich zu entwickeln und diese wieder mit den großen Gesamtlinien zu funktionellen Linien zu verbinden, wie Myers es beispielsweise auch bei den Armlinien beschreibt. Das ist ein zukünftiges und sicher wieder spannendes Unterfangen.
Betrachten wir jetzt einmal exemplarisch etwas von unseren Körperübungen, die in Verbindung mit der Spirallinie stehen:
Bei den Drehübungen des Schultergürtels beispielsweise können wir die beschriebene Linie hervorragend verfolgen. Wir können erleben, wie sich die jeweiligen Mm. rhomboideae dehnen bzw. kontrahieren, sodass wir eine andere Beweglichkeit im Schulterblatt Bereich bekommen und wie die Bauchmuskeln durch die Verbindung mit dem M. serratus anterior eine Beweglichkeit bekommen, die wir in der Atmung und daraus folgend der Stimmfunktion sofort wahrnehmen und hören können.
Das ist eine wunderbare Übung für all unsere SängerInnen oder PatientInnen, die gelernt haben den Bauch sehr fest zu halten, entweder durch Gewohnheit oder durch emotional-psychische Gründe oder eine bestimmte trainierte Stütztechnik.
Bei der Drehung im Becken haben wir auch interessante Punkte, die die Spirallinie betreffen.
Die Wirbelsäule wird noch mehr gedreht als bei der Schultergürtel Drehung und auch die Beine werden in die Drehung mit einbezogen.
Wir können auch Körperübungen wählen, die Teile der Spirallinie isolieren, indem wir das Ganze mit einer Partnerin oder einem Partner im Sitzen am Boden machen, wobei wir Rücken an Rücken sitzen.
Da wird es dann für LogopädInnen interessant, die diese Übungen mit PatientInnen im Rollstuhl machen können. Aber auch für GesanglehrerInnen, weil sie mit ihren SängerInnen nur im Oberkörper, d. h. unter anderem im Brustkorb bzw. inneren Becken arbeiten können, da die Beine fixiert sind.
Auf diese Weise finde ich, haben wir eine gute Möglichkeit gefunden, die Theorie sehr anschaulich mit der Praxis zu verbinden. Wer sich von den vielen Muskeln, die am Anfang der Ausbildung auf einen zukommen, überfordert fühlt, hat vielleicht ein Bild des Verlaufs einer Linie im Kopf behalten und kann dieses Bild während der Ausbildung mit Inhalten und Namen von Muskeln füllen. Trotzdem können Strukturen im Körper schon erkannt werden, weil er oder sie den Verlauf von Linien vor sich sehen kann. Das finde ich eine sehr gute Voraussetzung für das Körperlesen, was ein Teil unserer Ausbildung zum Lehrer bzw. zur Therapeutin ist.
Ich danke an dieser Stelle auch meinem Kollegen Thomas Mattern für seine Kommentare und Verbesserungsvorschläge, die es für mich leichter gemacht haben, meine Gedanken zu bündeln und zu Papier zu bringen. Fortbildungsseminare von Thomas und mir, mit diesem Blickwinkel sind für die Zukunft geplant.
Hilkea Knies