Wir treffen beim Belting auf ein Klangphänomen, welches in der Musical Vergangenheit ein Stilmittel war, das ab und zu eingesetzt wurde, aber heute zu einer Singweise geworden ist, die bei fast jedem Song im Musical erwartet wird. Wir finden es wichtig, Kategorien für die Arbeit mit Musical und auch Pop / Rockmusik zu finden, um eine Möglichkeit zu haben, fern ab von ästhetischen Bewertungen zu verstehen, mit welchen physiologischen Bedingungen wir es zu tun haben.
Beim Belting hören wir meistens folgende Strategien:
Es wird mit einem starken Vordersitz gearbeitet, der je nach Schule etwas oder sehr stark Richtung näseln bzw. geschlossene Nasalität geht. Wichtigstes Klangmerkmal hierfür wird Twang genannt.
Dabei wird der untere und mittlere Vokaltrakt verengt, die Zunge wird eingesetzt, um den Sitz auf die richtige Stelle am harten Gaumen zu platzieren. Dieser Sitz variiert von seinem Ort her. Mal sehr weit vorn an den Zähnen bis nach hinten an den Übergang harter / weicher Gaumen.
Der Luftdruck ist gegen diese Zungenstellung immer erhöht und muss ein ganz eigenes Gleichgewicht herstellen. Ist der Luftdruck zu niedrig, kippt die Stimme weg, ist er zu hoch überschlägt sie sich, bzw. die Schließung gegen den Luftdruck muss noch höher werden und wir bekommen sehr schnell stimmliche Probleme.
Das passiert immer, wenn Sängerinnen glauben, sie müssten eine sehr hohe Lautstärke erzeugen und nicht die Balance in einer mittleren Lautstärke suchen. Innerhalb dieser Balance gibt es ein Spektrum von klanglichen Möglichkeiten, die man benutzen kann. Die höhere Lage geht allerdings nicht piano zu singen, die tiefere Lage hat meist gerade genug Masse, um die Tonhöhe zu erreichen und eine deutliche Hauchigkeit ist zu hören.
Trotzdem kann man sagen, dass innerhalb dieser Funktion ein gewisses Gleichgewicht herrscht, mit dem man die immense Anzahl an Vorstellungen singen kann, die im Musicalbereich gefordert werden. Die Arbeit mit dem Mikrofon, der Tontechniker, der für die Lautstärke der Stimme zuständig ist, sowie das Monitoring auf der Bühne sind dabei von zentraler Bedeutung. Kontrolliert wird die Stimme über einen bestimmten Klang, eine bestimmte Sitzempfindung und Luftdruck gegen Schließung.
Das ist vom gesundheitlichen Aspekt nicht das Optimum, kann aber sehr lange funktionieren, wenn man den Ausgleich der Kräfte nicht stört. Das ist übrigens kein Phänomen, das es nur im Musicalbereich gibt. Genau so funktionieren auch Stimmen aus dem klassischen Bereich, die auf einen bestimmten Stimmsitz festgelegt sind und auch dort mit Luftdruck gegen Schließung arbeiten und immer die Zunge für Sitz und Tonhöhenmanipulation brauchen. Auch das funktioniert so lange, wie man den Druck nicht zu sehr ansteigen lässt und nicht anfängt, in ein höheres Stimmfach zu wechseln.
In der vorher beschriebenen Art zu singen bedeutet, dass wir uns ständig in einem Überdrucksystem befinden. Es ist ein sehr differenzierbares und es muss noch einmal betont werden, dass auch das Überdruckventilsystem für uns notwendig ist.
Gerade in unserer funktionalen Arbeit stellt sich aber die Frage: Muss ich dem gängigen Sound hinterher laufen oder kreiere ich meinen eigenen Sound, indem ich das Maß an Gesundheit selbst bestimme im Verhältnis zur Ästhetik, die ich auch bedienen möchte?
Mein eigener Sound entsteht aus der Beschäftigung mit der Gesundheit und Differenzierbarkeit meiner Stimme. Viele von uns Gesangslehrerinnen denken auch, sie müssten dem Klang, wie er vielfach produziert wird hinterher laufen, damit die Schülerinnen zufrieden sind. Ich denke, dass das nicht der richtige Weg ist. Auch wenn wir Schüler klassisch unterrichten, wählen wir den Weg funktional im Sinne der Stimmgesundheit und Flexibilität zu arbeiten, in Richtung Eigenwahrnehmung und Differenzierbarkeit der Stimme. Das braucht seine Zeit, lohnt sich aber am Ende für die Stimme, das Wohlbefinden und die Langlebigkeit der Singfähigkeit immer.
Beim Belting stellt sich die immens wichtige Frage nach der Masse. Hören wir Masse, benutzen wir Masse in der oberen Lage? Wenn ja, wie viel? Diese Intensität, die man hört, ist das Masse?
Im Bereich a-a1 haben wir noch die Möglichkeit mit der Masse zu spielen, je nach unserer stimmlichen Fähigkeit, wobei wir immer nach oben Masse abgeben müssen, wenn wir in der Balance (im Sinne einer funktional optimalen Funktion) bleiben wollen. D. h. der 2. und 3. Teil des Vocalis muss Masse abgeben.
Die Töne b1-c2 sind ein Übergang, bei dem die Masse noch drin bleiben kann, danach kann man die Masse über den Luftdruck noch bis ca. f2 nach oben schieben. Dabei ist dann allerdings der Luftdruck sehr hoch und der Raum verengt sich. Es können dann auch nicht mehr alle Vokale gesungen werden. Es geht alles in Richtung eines ä.
Die Zunge in Beziehung zum Kehldeckel und zum gesamten Zungenbeinreich ist für den Luftdruck zuständig. Und dies System darf nicht gestört werden. Manche Vokale wie /u/ und /o/ gehen dann nicht mehr zu singen, weil die Rundung den notwendigen erhöhten Luftdruck reduziert. Die Balance von subglottischem und supraglottischem Luftdruck ist dabei sehr wichtig. Die Empfindung auf Stimmlippenebene ist nicht mehr möglich, sondern wandert mehr auf die Zungenbeinebene.
Diese Sängerinnen werden nicht mehr als 30-40% Lungenvolumen einatmen. Mehr als 50% würden das System stören, weil es sich dafür öffnen muss. Wichtig ist für uns, dass Belting selbst eigentlich ein Stilmittel sein sollte und nicht eine Technik, die man in all seinen Stücken anwenden muss, weil einem wegen der starken Überdruck Betonung nichts anderes zur Verfügung steht.
Belting ist ein Begriff, der speziell im Musical verwendet wird. Von der physiologischen Ebene aus betrachtet, ist Belting ebenso in der Popularmusik als auch in der Klassik zu finden. Die Unterscheidung zur Klassik basiert auf unterschiedlichen Vokaltrakt- und Mundraumgestatungen. Und die Tonlagen, in denen es angewendet wird, sind auch unterschiedlich.
Von unserer funktionalen Sichtweise aus sollte es die Möglichkeit geben, von einer in die andere Funktion zu wechseln, wann immer man es möchte. Und dafür dürfen wir nicht zu stark in die Überdruckventilfunktion hinein gehen. Denn rein evolutionär bedingt kommen wir sehr schnell vom Unterdruck in den Überdruck, aber umgekehrt dauert es länger. Und je heftiger wir den ÜD anwenden, desto länger dauert es.
Die wesentlich differenziertere Funktion des Unterdruckventils, die evolutionär später entstanden ist, wird sofort überdeckt, wenn der Körper durch den Überdruck die Notwendigkeit für Schutz aktiviert. Und der Aufbau einer erneuten Sicherheit dauert wieder seine Zeit.
Im Bereich Popularmusik ist es daher sehr wichtig die Überdruckventilfunktion differenzieren zu lernen, um genau spüren zu können, bis wohin ich mit meinen Stilmitteln gehen kann und möchte. Genauso müssen wir aber auch in der Unterdruckventilfunktion arbeiten, um das System immer wieder zu regenerieren und neu entscheiden zu können, wie weit ich mich in welche Richtung bewegen möchte.
Da haben wir in der funktionalen Arbeit eine Menge Möglichkeiten am Thema Massekopplung des Vocalis und Beweglichkeit des 2. Vokalformanten zu arbeiten, deren Ausführung aber länger und differenzierter dargestellt werden müssten als in diesem Rahmen möglich ist.
Hilkea Knies und Ulla Keller